Montag, 13. Juni 2016

Über "Das Geheimnis der Runenmeisterin" Mario Lichtenheldt & Jule Konrad

In den letzten Monaten habe ich gemeinsam mit dem Kinder- und Jugendbuchautor Mario Lichtenheldt am vierten Roman seiner "Moritz und seine Freunde"-Reihe gearbeitet. In diesem Artikel erhält Mario die Gelegenheit, zu erzählen, worum es in "Das Geheimnis der Runenmeisterin" geht, wie unsere Zusammenarbeit zustande kam, welche Themen ihm als Autor am meisten am Herzen liegen und und und...


Lieber Mario, unser Buch „Das Geheimnis der Runenmeisterin“ ist der vierte Teil deiner „Moritz und seine Freunde“-Reihe. Wie hat das Ganze mit Moritz und seinen Freunden eigentlich angefangen?
Angefangen hat alles im Frühjahr 2009. Damals schrieb ich ein paar teils lustige, teils auch nachdenklich machende Geschichten für die Kinderseite der „Ostthüringer Zeitung“, woraus dann 2010 mein erstes Buch wurde.
Dort gibt es zum Beispiel den Gemüsehändler Zwiebelnase, der Moritz‘ Oma aus Versehen seinen Daumen verkauft, den geheimnisvollen schwarzen Doktor, eine düstere Sagengestalt aus meiner Heimat, die im Buch jedoch allerlei Gutes tut und viele kleine Geschichten, die sich am Jahreskreis Frühling, Sommer, Herbst, Winter entlanghangeln – einen gestiefelten Osterhase etwa, die Geschichte vom Kastanien-Karl, eine (ein bisschen) gruselige Halloweengeschichte und eine Tierweihnacht.
Später kam mir der Gedanke, die im ersten Buch gerade 4- bis 5-jährigen Haupthelden Moritz, Anne und Jakob „wachsen“ zu lassen. Also folgte ein zweites Buch – die zeitweise bis zu 6 Protagonisten sind darin 11 oder 12 Jahre alt - und dann ein drittes und nun schließlich „Das Geheimnis der Runenmeisterin“. In den letzten beiden Bänden sind die Freunde zwischen 14 und 15.

                                           Mario Lichtenheldt


Und worum geht es, soweit wir es schon verraten können, jetzt in „Das Geheimnis der Runenmeisterin“? Welchen – vielleicht sogar sehr erwachsenen – Themen müssen sich die Jugendlichen diesmal stellen?
„Das Geheimnis der Runenmeisterin“ ist eine fiktive Geschichte, die in drei unterschiedlichen Zeiten spielt.
Ein Mädchen im Moor... geheimnisvolle Bronzeringe an ihrem Knöchel, beschriftet mit winzigen Runen, die man zwar lesen, deren Inhalt man aber nicht verstehen, nicht entschlüsseln kann…
Ein Toter in Nazi-Uniform, der seltsame Pläne und Dokumente bewacht – immer noch, 70 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges …
Ein fanatischer Stadtschreiber zur Zeit der Hexenverfolgung, der ein junges Mädchen um jeden Preis auf den Scheiterhaufen bringen will – was verbindet sie alle über Jahrhunderte hinweg?
Durch einen Zufall (oder auch nicht) entdecken Moritz, Anne und Jakob einen Weg in die Vergangenheit, von dem Moritz meint, dass es ihn nach Einstein gar nicht geben dürfte. Und dann begegnen sie Menschen, Teenagern wie sie selbst, die vor vielen Jahrhunderten gelebt haben, lernen ihre Bräuche, ihre Kultur, ihre Gefühle, Ängste, ihren Alltag, ihr verblüffendes Wissen, ihre Art von Glücklichsein und manchmal die Tragik ihrer Schicksale kennen. Im Mittelpunkt stehen Fragen wie: Was ist Zeit? Können wir die Zeit beherrschen? Ist unsere schnelle, auf Wachstum und Fortschritt geprägte Zeit wirklich „besser“ und sind die Menschen heute wirklich glücklicher als früher? Was ist das überhaupt: Glück?
Und wie war das damals eigentlich mit der Liebe – und der Lust daran? Ja, „Das Geheimnis der Runenmeisterin“ ist auch eine Liebesgeschichte – über die Grenzen der Zeit hinweg…

                                       Das Moormädchen  
              "...seit dem Fund und seit Jakob die Leiche zum ersten Mal selbst hatte ansehen können,  hat er sich immer wieder vorgestellt, wie das Mädchen wohl ausgesehen haben mag, als sie noch lebte. Ihr toter Körper ist so gut erhalten, dass es gar nicht so unmöglich erscheint, im Kopf ein Bild von ihr zu zeichnen..."


Wie hast du Imba und Hamal, die vielleicht wichtigsten Figuren unseres Romans, gefunden?
Ja, das war auch ganz interessant und auch ein bisschen traurig. Vor vielleicht drei oder vier Jahren habe ich in einer Bahnhofsbuchhandlung für meinen Vater ein Heft des Magazins „GEOEpoche“ gekauft, in dem es um die Germanen geht. Wahrscheinlich hat mein Vater das Heft nie gelesen, denn er starb kurze Zeit später und das Heft landete wieder auf meinem Tisch. Ich fand darin eine kurze Bemerkung über ein mit Runen beschriebenes Stück Holz, darauf der Satz:
 „Liebes wünscht Imba dem Hamal!“ 
Nichts weiter und doch unendlich viel. Nichts ist geblieben von den beiden – außer ihrer Liebe!
Wer waren die beiden? Ein Liebespaar? Oder sich liebende Geschwister, die aus irgendeinem Grund getrennt worden waren?
Ich wollte den beiden etwas zurückgeben, das sie verloren haben – ihre Persönlichkeit, ihr Gesicht, ihre Lebensgeschichte und so begann die Idee von der Runenmeisterin Imba und ihrem kleinen Bruder Hamal Gestalt anzunehmen.

Ab wann stand der Entschluss, den beiden und ihrer Zeit ein ganzes Buch zu widmen?
Nachdem ich 2014 ein sehr dickes Buch gelesen hatte! Mein heute 18-jähriger Sohn hat sich nämlich schon vor Jahren – da war er vielleicht 11 oder 12 – Jakob Grimms „Deutsche Mythologie“ gekauft, weil da vorn auf dem Cover so ein cooler Drache drauf ist. Die Lektüre war ihm dann aber doch zu anstrengend und so hat er mir das Buch zum Geburtstag geschenkt. Und wenn man ein bisschen Interesse für die eigene Geschichte mitbringt, kann man dort wirklich Spannendes und Bemerkenswertes über die fast vergessene Zeit, Religion und Kultur Deutschlands vor der Christianisierung entdecken. Einige Geschichten fanden – teilweise leicht abgewandelt – Eingang in „Das Geheimnis der Runenmeisterin“. 
Man muss dazu wissen: Die Götter und Göttinnen der damaligen Zeit waren voller Leben, hatten Gefühle und liebten sich untereinander – sie existierten im Hier und Jetzt! Sie lehrten die Menschen z.B. eine Art Umweltschutz, die wir wohl nie erreichen werden: Die LIEBE zur Natur! Wir lächeln heute über Naturvölker, reden von Umwelt- und Naturschutz – und meinen, etwas Gutes zu tun, wenn wir die Natur, von der wir zu 100% abhängig sind, etwas langsamer zerstören als noch vor 10 Jahren. Die alten Götter hingegen SIND die Natur, die Geister der Natur. Diese Göttinnen und Götter sind zutiefst menschlich und irdisch (im positiven wie im tragischen Sinne). Sie leben MIT den Menschen und mit jedem Wesen der Natur, nicht über ihnen. Ihr Verhältnis zu den Menschen beruht auf Gegenseitigkeit, nicht auf Abhängigkeit und schon gar nicht auf Lügen. 

                                         Imbas Baum
             "...und seither geht Imba jedes Mal, wenn sie sich unruhig fühlt oder  Sorgen  sie   bedrücken, zu Großmutters Birke, lehnt sich an ihren Stamm, sucht Schutz in ihrem Schatten und lauscht nach Großmutters Stimme. Und manchmal fühlt es sich wirklich so an, als wüchsen unsichtbare Arme aus dem Baum, um Imba tröstend einzuhüllen..."

Wie kam es dazu, dass du mich als Co-Autorin ins Boot geholt hast?
Ja, da gab es vor etwa 8 Jahren einen Literaturwettbewerb in Franken. Gewonnen hat ein damals 17-jähriges Mädchen, das wohl – ich erinnere mich nicht mehr genau – schon damals irgendetwas Mystisches, Geheimnisvolles ausstrahlte. Das Mädchen namens Jule hat dann drei Jahre später auf einen Leserkommentar von mir reagiert und seitdem beobachte ich Deine künstlerischen Aktivitäten mit Spannung, Neugier und großem Interesse und ich muss sagen: Es lohnt sich! Deine Fotos auf Facebook haben dann den Ausschlag gegeben. Das ist Imba! Sie oder keine!

Das Thema Religion - und vor allem auch Religionskritik - zieht sich durch mehrere deiner Bücher. Worum geht es dir dabei? Worauf willst du aufmerksam machen?
Als ehemaliger DDR-Bürger bin ich nicht sonderlich religiös erzogen worden, habe mich aber vor allem als Jugendlicher und junger Mensch sehr für Kirche, Kirchengeschichte und die Bibel interessiert. Mit unserem damaligen Ortspfarrer konnte man richtig gut diskutieren und er war es auch, der mir Kontakt zu kirchlichen Kinderheimen vermittelt hat; ich habe mich damals in der Arbeit mit behinderten Kindern engagiert.
Seit einigen Jahren allerdings sehe ich Religion zunehmend kritisch. So richtig heftig wurde das schließlich 2010, als der massenhafte Missbrauch von Kindern in vorwiegend katholischen Einrichtungen ruchbar wurde. Da war von „kirchlichem Recht“ die Rede – als ob die Kirche ein autonomer Staat im Staate sei! Da wurde vertuscht und gemauert.
Dann die Beschneidungsdebatte 2012 (zu diesem Thema habe ich ebenfalls 2 Bücher veröffentlicht, nachdem der 4-jährige Sohn einer Freundin nach einer solchen eigentlich unnötigen OP gestorben war): Der Rechtsstaat geht vor einem religiösen Ritual in die Knie – oder auf die Knie, wie man will – und erlaubt es, Kindern unnötig Schmerzen und bleibende Verletzungen ausgerechnet an ihren Genitalien zuzufügen, weil ein 99-jähriger Greis vor ein paar tausend Jahren meinte, eine Stimme aus dem Off zu hören, einen Befehl, sich selbst und seinen männlichen Nachfahren das Genital zu häuten! „Irre!“ – würde Moritz dazu sagen.
Im Buch hinterfragt Hamal, ein 12-jähriger Junge, dem unsere Welt völlig fremd ist, den sogenannten „Allmächtigen“ – und der kommt dabei ziemlich schlecht weg. Der Junge zeigt aber auch, wie verblüffend einfach es ist, das System aus Angstmache, moralischer Anmaßung und Erlösungsangebot zu durchschauen.


Was, glaubst du, könnten wir heute von Imba und Hamal und ihren Zeitgenossen lernen? Was lernen Moritz und seine Freunde im Verlauf der Geschichte? Und was darf sich der Leser eigentlich von unserem Buch erwarten: ein fantastisches Abenteuer? Spannung? Romantik?
Was können wir lernen? Na ja, vielleicht, dass die Menschen vor vielen Jahrhunderten genau so menschlich (oder unmenschlich) waren wie wir heute? Dass sie trotz ihres härteren Lebens glücklich waren, vielleicht sogar glücklicher als wir es heutzutage sind? Dass sie in vielen Dingen lebenstüchtiger und unabhängiger waren als wir? Man stelle sich nur einmal vor, jetzt sofort fiele der elektrische Strom für 3 Wochen komplett aus – und das ist nur eine von vielen Abhängigkeiten, in die wir „fortschrittlichen Menschen“ uns tagtäglich begeben! Der 12-jährige Hamal im Buch findet auf Anhieb noch sehr viel mehr davon!
Ein fantastisches Abenteuer ist das „Geheimnis der Runenmeisterin“ auf jeden Fall, wobei natürlich nicht verraten wird, wo die Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion verläuft. Spannung hoffentlich und Romantik – oh ja! Wer erinnert sich nicht gerne an das atemberaubende Prickeln der ersten Liebe …?
Das Leben ist schön – auch ohne dickes Konto, Haus, Boot, Smartphone und Mercedes, auch ohne dass man wie ein Herdentier mit anderen im fröhlichen Wahnsinn der Spaß- und Leistungsgesellschaft einher tobt...


Viel Spaß mit "Das Geheimnis der Runenmeisterin"!

                                          Die Runenmeisterin 
                                 „Am Urdbrunnen sitzt sie,
                                  dem einst die Nornen entstiegen.
                                  Die Zukunft sieht sie.
                                  Mit Toten spricht sie…
                                  Zeit ist’s zu raunen
                                  am Urborn Urd.
                                  Ich schaute und schwieg,
                                  lauscht‘ auf der Meisterin Mund…"



Mehr über "Das Geheimnis der Runenmeisterin": https://tredition.de/autoren/mario-lichtenheldt-4837/das-geheimnis-der-runenmeisterin-paperback-78051/
Mehr über Mario Lichtenheldt: http://www.horizont-web.eu/index.htm