Dienstag, 15. Juli 2014

Über "meine" Melusine

Melusine ist ein weibliches Naturwesen, eine Wasserfrau. Geschichten von Wasserfrauen und ihren meist verhängnisvollen Beziehungen zu menschlichen Männern gibt es viele. Melusine hat also viele Schwestern und ich hätte mein Lied auch genauso gut Undine oder Loreley nennen können, Melusine klang aber einfach am besten ;-)
Die Geschichten von den Naturfrauen und ihren menschlichen Liebhabern verlaufen meist nach dem gleichen Schema (mit umgedrehten Geschlechterrollen gibt es das Ganze natürlich auch). Naturwesen und Mensch treffen aufeinander, das Naturwesen übt eine starke Anziehung auf den Mensch aus, sie kommen zusammen, meist aber nur, nachdem das Naturwesen dem Mensch eine bestimmte Bedingung gestellt hat. In Melusines Fall lautet die Bedingung, dass ihr Mann, Raymond, sie nie beim Baden beobachten darf. Dieses Tabu wird natürlich gebrochen, die Beziehungen scheitern, Melusine verlässt Raymond, Undine gibt ihrem treulosen Gatten den Todeskuss und und und...
Ich habe all diese Melusine-Geschichten irgendwann vorwiegend als Geschichten der Angst gelesen. In gewisser Weise sind alle Geschichten von gescheiterten Beziehungen Geschichten der Angst. In den meisten Überlieferungen des Melusine-Stoffs sind Angst und Eifersucht die Gründe, warum Raymond das ihm auferlegte Tabu bricht. Das Fremde, „Nicht-Menschliche“ in ihrem Wesen beunruhigt ihn. Er misstraut Melusine, fürchtet, sie könnte ihn heimlich betrügen und „spioniert“ ihr deshalb nach. Als er sie dann beim Baden in ihrer wahren Gestalt sieht (dargestellt meistens als halb Schlange, halb Mensch) werden sein Misstrauen und seine Angst nur größer. Raymond hat im Grunde einfach Angst vor Melusine, vor ihrem Wesen und dem, was ihm daran fremd ist. Als Naturwesen ist Melusine auch eine Urgewalt, sie folgt anderen Regeln und Gesetzen, sie ist in ihrer Tiefe undurchschaubar.
Und diese Angst vor der Tiefe des anderen, vor seiner Kraft finde ich immer wieder in Beziehungen, auch in denen zwischen Mensch und Mensch, und diese Angst und die Trauer darüber, was sie unter Umständen anrichtet, war dann auch meine Hauptinspiration für „meine“ Melusine.
Ich kenne diese Angst auch aus meinen eigenen Beziehungen. Ausgesprochen habe ich das „Ich habe Angst vor dir“ leider nur in den seltensten Fällen. Viel öfter habe ich es nicht gesagt, habe die Angst hinter Kritik oder Ablehnung verborgen oder bin einfach auf Abstand gegangen und geflüchtet. Wir reden selten darüber, wie viel Angst wir eigentlich voreinander haben, wie oft sie uns auf Distanz zueinander hält und unsere Beziehungen auseinander reißt. Nachdem ich das „Ich habe Angst vor dir“ einmal wirklich ausgesprochen hatte, hat es nicht lange gedauert und ich konnte darüber lachen. Ich hatte nämlich gar keinen Grund, Angst zu haben.
Und eigentlich, meine ich zumindest, hatte Raymond auch keinen. In den meisten Überlieferungen wird sogar beschrieben, wie glücklich er mit Melusine war, sie bringt ihm Reichtum und Ansehen, Kinder haben sie auch einen ganzen Haufen und und und... Melusine ist also nicht böse, bedrohlich oder eine Männerverschlingerin.
Melusine (wie ich sie sehe und das ist natürlich ganz subjektiv) ist einfach eine Urgewalt und sie ist beunruhigend tief. Ein Grund Angst zu haben, ist das trotzdem nur, solange man vor seiner eigenen Tiefe zurück schreckt und sich seiner eigenen Kraft nicht sicher ist. Wenn ich selber eine Urgewalt bin, dann freue ich mich über die Begegnung mit einer mir ebenbürtigen Kraft. Nur wenn ich meiner eigenen Kraft, meiner eigenen Tiefe nicht vertraue, flüchte ich vor Wasserfrauen und Wassermännern und wünsche mir, dass sie für immer am Grund irgendeines Tümpels versumpfen und bloß ja niemals die Hand nach mir ausstrecken.
Und da fange ich dann an, Melusine zu bedauern: Tief zu sein ist nicht leicht, wenn Tiefe Angst einflößt, eine Urgewalt zu sein kein Spaß, wenn alle, die in Berührung damit kommen, zurück schrecken... Das ist sicher auch einer der Gründe, warum ich mir noch lange, nachdem ich „Melusine“ geschrieben hatte, nicht vorstellen konnte, sie jemals zu singen. Etwas in mir wollte sie nicht zeigen, wollte sie lieber verbergen, hatte Angst, mit ihr gleichgesetzt zu werden, ja, ich wollte auf gar keinen Fall Melusine sein oder zumindest nicht als Melusine gesehen werden. Verständlich, oder? Wer will schon als eine Frau wahrgenommen werden, die zwar vielleicht anziehend ist, aber deren Beziehungen nahezu naturgesetzmäßig immer an ihrem Wesen scheitern müssen und die als bedrohlich und oft auch böse gilt? Und in Hollywood ist die verführerische, mysteriöse Frau auch selten dieselbe, die der Held am Ende heiratet... Arme Melusine.
Jedenfalls hatte ich dann irgendwann doch das Gefühl, dass Melusine vielleicht einfach einmal zu Wort kommen sollte, zeigen sollte, wer oder was sie eigentlich ist und dass sie eben nicht „böse“ ist. Und heute kann ich auch, ohne mich schlecht zu fühlen, sagen, dass ich selber natürlich auch Melusine bin.
Dass ich irgendwann angstfrei bin, ist utopisch. Hoffnung habe ich, dass ich in Zukunft, wenn mir mal wieder jemand oder etwas Angst macht, einfach daran denke, dass es nur die Angst vor meiner eigenen Tiefe ist, die mich mal wieder erwischt hat... Das verhindert zumindest, dass sich die Angst zu Misstrauen, Vorwürfen, Unterstellungen und Ablehnungen verhärtet. Die Angst trennt auf einmal viel weniger.
Danke, Melusine (innerhalb und außerhalb von mir), für diese Erfahrung! :-)

Dass alles, was ich hier geschrieben habe, meine sehr subjektive Interpretation des Melusine-Stoffs und eher ein Melusine-Erlebnis-Bericht ist, ist, glaube ich, klar. Wer sich für das Thema aus literaturwissenschaftlicher Sicht interessiert, dem kann ich trotzdem ein paar Bücherlein empfehlen:

Stephan, Inge: Weiblichkeit, Wasser und Tod. Undinen, Melusinen und Wasserfrauen
bei Eichendorff und Fouque. In: hg. von Böhme, Hartmut: Kulturgeschichte des
Wassers. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988, S. 234-262.
Kraß, Andreas: Meerjungfrauen. Geschichten einer unmöglichen Liebe. Frankfurt a. M.:
S. Fischer 2010

https://www.youtube.com/watch?v=ILHzK0FmFfA

I linger in the fountains
woods, the windy heights
I'm a part of nature
You can call me a wild child

I am cyclic, have three faces
Follow only my own rules
Always moving, intuition
Safely looked at from afar

The men they love me  
The men can't take me
The men adore me
The men they fear me

I'm instincts, the subconscious 
I'm a water with no ground
Can't be singing sweet and lightly
If you don't learn to love my dark

The men they love me
The men can't take me
The men they want me
The men they chain me

And we will reach into the deep
Afraid you'll flee
A price I have to pay
And I'll love you still

Hard to tame, not easy broken
Full of love and life and laughter
Wish to one day meet a lover
who doesn't fear my deepest depths

The men they love me 
The men can't take me
The men they hold me
The men run from me 

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